Kennen Sie solche Situationen: Sie schauen auf die Uhr, das nächste Meeting startet schon in 10 Minuten, der Schreibtisch ist völlig überfüllt und die To-Do-Liste wächst mit jeder neu-eintreffenden E-Mail gen Himmel? Im Nacken sitzt Ihnen das kommende Quartalsgespräch, bei dem Sie mit Leistung punkten möchten, um sich für die anstehende Beförderung zu qualifizieren oder auch irgendwann einmal mit dem Chef über das Gehalt zu verhandeln? Dann meldet sich noch ein Mitarbeiter, in dem Sie zwar Potenzial erkennen, das Sie auch gerne fördern möchten, für dessen Probleme Sie aber gerade gar keinen Kopf haben?
Kennen Sie, oder? Dachte ich mir schon. Und in all diesem Trubel werden Sie auch noch mit ständig neuen Anforderungen an Sie als Führungskraft konfrontiert- heute mit dem Thema „gesunde Führung“. Schon davon gehört? Falls nein, sind Sie in guter Gesellschaft. Aber: Weiterlesen lohnt sich!
Fakt ist: Gesundheit ist das wichtigste Gut, das wir haben. Ohne gesunde Mitarbeiter kein erfolgreiches Unternehmen, ohne gesunde Chefs keine gute Führung und viel entscheidender: ohne Gesundheit, kein lebenswertes Leben.
Gesundheit – das bedeutet nicht nur, dass man keinen Schnupfen, keine Schmerzen und kein Rückenleiden hat. Mit dem Wandel der Arbeitswelt hin zu digitaler Schnelllebigkeit und wachsendem Konkurrenzdruck wird insbesondere die psychische Gesundheit immer wichtiger und gerät somit zunehmend auch in den unternehmerischen Fokus.
Und während die Verbreitung psychischer Erkrankungen stetig wächst, wird das gesunderhaltende Potenzial der Arbeitsgestaltung und der Führungskraft selbst immer intensiver erforscht. Laut einer Studie des Instituts für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen (2013) steigert gesunde Führung das Wohlbefinden und das Engagement der Mitarbeiter – sowie in weiterer Folge die Unternehmensleistung – in erheblichem Maße.
Schätzen Sie doch mal: Wie hoch ist Ihrer Meinung nach der Einfluss von gesunder Führung für die Kündigungsabsicht von Mitarbeitern (in Prozent)?
Gesunde Führung reduziert die Kündigungsabsicht der Mitarbeiter um bis zu 75%, das destruktive Engagement um 63% und die Resignation um 52%. Beeindruckend, nicht wahr?
Umso unglaublicher ist es, dass die Forscher aus St. Gallen auch ermittelt haben, dass gesunde Führung keineswegs in Unternehmen angekommen und als „Wunderwaffe“ erkannt worden ist: Ein gesunder Führungsstil konnte nur in 2% der untersuchten Unternehmen tatsächlich als gut etabliert festgestellt werden. Und der Stressreport (2012) zeigt, dass Deutschland im EU-27-Durchschnitt in dem Punkt „Unterstützung durch Vorgesetzte“ noch weit zurückliegt.
Wissen deutsche Führungskräfte tatsächlich schlichtweg nicht, was das ist? Offenbar!
Die im September 2012 gestartete Initiative für neue Qualität der Arbeit führte eine Kulturstudie mit 400 Tiefeninterviews durch, wobei Führungskräfte unterschiedlicher Hierarchieebenen befragt wurden. Als eines der zentralen Ergebnisse stellte sich heraus, dass die Führungskräfte selbst die Kriterien „guter Führung“ nicht einmal zur Hälfte erfüllt sahen und, noch schlimmer, häufig die Kriterien gesunder Führung nicht einmal kannten.
Was heißt eigentlich gesunde Führung?
Es ist wie so oft: viele Autoren geben hierauf verschiedene Antworten.Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin gibt die folgende. Gesunde Führung setzt sich zusammen aus:
Dem Umgang der Führungskraft mit der eigenen Gesundheit
Der gesundheitsförderlichen Gestaltung von Arbeitsbedingungen
Der gesundheitsförderlichen Interaktion mit den Mitarbeitern
Der Unterstützung und Realisierung betrieblicher Gesundheitsförderung
Was hat denn meine eigene Gesundheit mit meinen Mitarbeitern zu tun?
Eine ganze Menge! Sie selbst sind als Führungskraft in Ihrer Rolle im betrieblichen Alltag meist stark gefordert. Für Ihre Mitarbeiter können Sie dann gut da sein, wenn Sie Ihr eigenes Stress- und Ressourcenmanagement gut im Griff haben. Wie wollen Sie einen Blick für Ihre Mitarbeiter entwickeln, wenn Sie selbst vor lauter Stress und Hektik nicht wissen, wo Ihnen der Kopf steht? Wie wichtig dieses Prinzip ist, wird jedem klar, der im Flugzeug sitzt und die Instruktionen der Stewardessen vor dem Start nicht ignoriert. Dort wird man aufgefordert, im Falle einer Notsituation sich zunächst selbst die Atemmaske überzustülpen – noch bevor Sie Ihren Sitznachbarn (und seien es Kinder) helfen. Und es gibt noch einen weiteren Grund. Der klingt abgedroschen, stimmt aber: Sie sind ein Vorbild. Ihre Mitarbeiter schauen sehr genau, ob Sie Ihre Pause einhalten, wie Sie mit Unterbrechungen oder eigentlich unmöglichen Aufträgen umgehen, ob Sie selbst dauerhaft bis spät am Abend arbeiten, wie sehr Sie Ihrer Gesundheit Vorrang geben usw. Daher gilt, Schritt Eins auf dem Weg zur gesunden Führung lautet: Fassen Sie sich an die eigene Nase!
Tipp für die Praxis: Versuchen Sie, gesundheitliche Belastungen bei sich selbst wahrzunehmen und zu benennen. Werden Sie sich bewusst, woran Sie bei sich selbst beobachten und bemerken können, dass Sie gerade eine erhöhte Belastung haben. Streichen Sie regelmäßig Ihre Mittagspause? Lesen Sie Emails regelmäßig auch noch nach Feierabend? Liegen Sie nachts wach und grübeln? Reicht Ihnen am Ende ein Wochenende nicht mehr, um sich erholt zu fühlen? Wenn Sie mögen, können Sie auch selbst einmal überlegen, wie sehr Sie ein Vorbild in Sachen Gesundheit für Ihre Mitarbeiter sind? Was sehen die, wenn sie sich Sie zum Vorbild nehmen? Gönnen Sie sich auch Pausen, einen erholsamen Kaffee, eine Portion Entspannung, um neue Energie zu tanken? Gibt es ein etabliertes Abschaltritual bei Ihnen? (Ein wichtiges Stichwort in diesem Zusammenhang: Achtsamkeit. Mehr dazu HIER).
Gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen – was ist damit gemeint?
Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen hat einen großen Einfluss auf das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit Ihrer Mitarbeiter. Neben Faktoren wie die Belastung durch Lichtverhältnisse, Lärm, Staub oder ähnliches zählt die Gestaltung der Arbeitsaufgabe zu den wichtigsten Faktoren. Gemeint ist damit einerseits die Bedeutsamkeit der Arbeit, aber auch Aspekte der Rollenklarheit und etwaige Entwicklungsperspektiven Ihrer Mitarbeiter. Erkennen Mitarbeiter einen Sinn in ihrer Aufgabe und verfügen über angemessene Handlungsspielräume, hat dies nachweislich einen positiven Einfluss sowohl auf ihre Gesundheit als auch auf ihre Potenzialentfaltung und Produktivität.
Tipp für die Praxis: Viele Führungskräfte, die ich kenne, würden sagen, dass Sie Mitarbeiter einbeziehen, Aufgaben nach den jeweiligen Kompetenzen der Mitarbeiter verteilen oder Ihnen Perspektiven aufzeigen. Fragt man die Mitarbeiter derselben Führungskräfte sieht das Bild schon ganz anders aus. Fragen Sie also häufiger nach: Wie schätzen es die Mitarbeiter ein? Was brauchen sie von Ihnen, damit sie ihre Arbeit gut machen können? Ein häufiges Manko: Es werden zwar Aufgaben übertragen, aber nicht die dafür notwendigen Entscheidungsbefugnisse. Schönes Beispiel aus der Praxis: Eine Mitarbeiterin in einem Customer Care Center bearbeitet Kundenanfragen, Entscheidungen trifft jedoch der Chef, der sehr viel außer Haus ist. Keine guten Arbeitsbedingungen, denn die Aufgaben stapeln sich bei der Mitarbeiterin, sie ist verärgert und hilflos zugleich. Prüfen sie also kritisch, ob übertragene Aufgaben und Verantwortungen von Ihnen auch mit den zur Erfüllung notwendigen Befugnissen übertragen wurden.
Gesundheitsförderliche Interaktion – wie sieht das konkret aus?
Halten Sie einen Moment inne und überlegen Sie: In was für einer Atmosphäre könnten Sie selbst gut arbeiten und sich wohlfühlen? Freundlichkeit und Respekt der Führungskraft gegenüber den Mitarbeitern wirken sich sowohl auf die Gesundheit als auch auf die Zufriedenheit nachweislich positiv aus. Das Ziel der Führungskraft sollte demnach in einer positiven Beziehung zu den Mitarbeitern liegen. Wenn Ihnen das gelingt, werden Sie aktiv zur Ressource für Ihre Mitarbeitern, denn soziale Unterstützung gehört zu den wichtigsten protektiven Faktoren, wenn es um die psychische Gesundheit von Menschen geht. Und so einfach sich das anhört, so oft ist das in meiner alltäglichen Beratungspraxis ein Problem. Konflikte werden nicht geklärt, in stressigen Zeiten nimmt sich der Chef keine Zeit für individuelle Gespräche (wenn überhaupt, werden sie schnell abgehandelt), das Betriebsklima leidet, weil jeder nur noch guckt, wie er die Arbeit schafft (aber sich keiner mehr Zeit für den so wichtigen 5-minütigen Plausch in der Kaffeeküche nimmt), Wertschätzung und Anerkennung finden zwar theoretisch alle wichtig und wünschenswert, praktisch gelebt wird es aber nicht (Wobei: Wie soll man dafür auch einen Blick entwickeln, wenn wir systematisch gelernt haben, Fehler auszumerzen und unser Blick für Fehler hypersensibel geschärft ist, Stolz auf Erreichtes aber mit „Eigenlob stinkt“ abgetan wird?).
Tipp für die Praxis: Zeigen Sie Interesse am Wohlbefinden ihres Mitarbeiters, stärken Sie Ihren Mitarbeitern den Rücken und seien Sie wertschätzend in Wort und Tat! Im Alltag zählen die kleinen Gesten: Ihre Mitarbeiter werden auch es Ihnen auf Dauer danken, wenn Sie „Danke“ sagen, wenn Sie Ihnen gratulieren zu Erfolgen oder wenn Sie sich hier und da auch für Persönliches interessieren. Aber Achtung: Damit ist keine Lobhudelei gemeint. Ich erinnere einen ehemaligen Mitschüler. Dem habe ich bei einem Klassentreffen erzählt, ich würde Leadership-Programme konzipieren und durchführen. Der sagte dann, er halte von so etwas gar nichts. Immer, wenn sein Chef auf einem Führungsseminar gewesen sei, dann komme er und lobe ihn wie verrückt für Selbstverständlichkeiten oder selbst dann, wenn er selbst gar nichts gemacht habe. Sie sehen schon: Die Dosis macht das Gift.
Betriebliche Gesundheitsförderung- was heißt das für mich als Führungskraft?
Lassen Sie es sich auf der Zunge zergehen: Die Gesundheit Ihrer Mitarbeiter kann maßgeblich beeinflusst werden. Und zwar durch Sie. Nutzen Sie diese Chance und lassen Sie dieses Potenzial nicht ungenutzt verstreichen. Verschiedene Studien zeigten: Eine Verringerung der Krankheitstage trat nur dann ein, wenn die Führungskräfte selbst anerkannten, dass die Ursachen für Gesundheitsprobleme der Mitarbeiter nicht allein den Mitarbeitern selbst zuzuschreiben sind, sondern auch von den Arbeitsbedingungen beeinflusst werden. Wenn Sie also einmal von der Kraft gesunder Führung überzeugt sind, sollten Sie ein ganzheitliches Gesundheitskonzept im Unternehmen etablieren – es lohnt sich! (Mehr zum Thema Return on Investment betrieblicher Gesundheitsförderung lesen Sie HIER).
Tipp für die Praxis: Unterstützen Sie selbst aktiv die Umsetzung von betrieblichen Gesundheitsmaßnahmen und regen Sie für Ihren Bereich sinnvolle Maßnahmen an. Informationen, was hilfreich sein könnte, erfahren Sie von Ihren Mitarbeitern im direkten Gespräch oder in einem extra veranstalteten Gesundheitszirkel. Auch eine seriös durchgeführte psychische Gefährdungsbeurteilung, ein Gesundheitsbericht oder eine Mitarbeiterbefragung können Aufschluss darüber geben, wo der Schuh am meisten drückt.
Das Thema gesunde Führung hat viele Facetten. Dieser Artikel wollte und sollte Ihnen einen kurzen Überblick geben. Um Ihnen den Einstieg zu erleichtern und Sie auf dem Laufenden zu halten, werden wir in den kommenden Monaten in einigen Beiträgen beleuchten, was es zu beachten gilt, was die Forschung an Neuigkeiten zu Tage bringt und Ihnen praktische Tipps und Instrumente für den Alltag an die Hand geben. Einer der wichtigsten: Lächeln verlängert Ihr Leben und das Ihrer Mitarbeiter! Das wussten schon die alten Chinesen. Und die Forschung bestätigt es. Und das Gute: Für unser Gehirn und die Ausschüttung der Hormone macht es keinen Unterschied, ob wir lächeln, weil uns danach ist, oder ob wir nur so tun als ob. In diesem Sinne viel Spaß beim Weiterlesen und einfach mal lächeln 🙂