Wir müssen ja sowieso führen, warum dann nicht gleich positiv?!
„Immer siehst du nur, was ich alles falsch mache. Aber das, was gut läuft, bemerkst du gar nicht.“
Kennen Sie, oder? Wenn wir das lesen, denken die meisten von uns wahrscheinlich an eine kriselnde Paarbeziehung. Oder vielleicht, man will es ja kaum wahrhaben, wurde uns etwas Ähnliches schon selbst vorgeworfen? Oder wir haben es an unserem Gegenüber kritisiert.
„Ja natürlich!“, denken Sie vielleicht. „Man muss ja auf das shauen, was nicht funktioniert und besser werden sollte.“ Ich würde sagen: Sich auf das Negative zu konzentrieren, hat seine Berechtigung. Von dort aus kann man im besten Falle das Problem lösen, die Kritik in etwas Konstruktives verwandeln. Auch wir in der Psychologie haben jahrzehntelang nichts anderes getan: Wir haben Krankheiten behandelt, kaputte Beziehungen repariert, zwischenmenschliche Konflikte im Betriebsalltag gelöst – und tun all dieses immer noch.
Einmal radikale Kehrtwende bitte! Weg vom Feuerlöschen und Reparieren hin zur Potenzialentfaltung.
Dann kam Martin Seligmann. Als er neuer Präsident der American Psychological Association wurde, brachte er eine Sichtweise mit, die den schmollenden Pessimisten unter den Psychologen den Boden unter den Füßen wegriss: Positive Psychologie. Bei den Optimisten knickt einstweilen der Kopf enttäuscht zur Seite – „Ernsthaft? Das hab‘ ich ja wohl schon immer gewusst!“. Positive Psychologie ist jedoch eine relativ neue Strömung und beschäftigt sich, wie der Name schon sagt, mit der positiven Seite des Lebens. Positive Psychologie stellt die Frage, was zu einem gelingenden Leben beiträgt und erforscht systematisch jene Faktoren, die uns glücklich und zufrieden machen. Martin Seligmann selbst hat ein Buch mit dem Titel „Florish“ veröffentlicht und darin seine Erkenntnisse zusammen, was Menschen in ihrem Leben zum (Auf-) Blühen bringt, was sie machen können, um ihr ganzes Potenzial zu nutzen.
Langsam ist auch die Arbeitswelt bereit zum Umdenken. Weg von der Fokussierung darauf, in welchem Team oder welcher Abteilung etwas schief läuft, wo mal wieder Not am Mann ist oder welche neuen Qualen die nächste Besprechung zu bieten hat und hin zu Fragen nach Stärken, Potenzialen und Ressourcen. Was läuft gut und kann sogar noch besser werden?
Auf dieser Basis definierte Fred Luthans den Begriff „Positive Organizational Behavior” (POB). Ein Forschungsgebiet, das sich unter anderem mit der Anwendung positiver menschlicher Stärken und Kapazitäten beschäftigt, die zu Wohlbefinden und Leistungsverbesserung beitragen. Bei dieser „neuen Sichtweise“ spielen vor allem die psychologischen Fähigkeiten Hoffnung, Selbstwirksamkeit, Resilienz und Optimismus eine wichtige Rolle. Alle zusammen fallen unter den Begriff „Psychological Capital, kurz „PsyCap“. Laut Luthans haben Personen mit hohem psychologischem Kapital:
das Selbstvertrauen, anspruchsvolle Aufgaben zu übernehmen und den nötigen Aufwand zu betreiben, um diese auch erfolgreich zu bestehen (= Selbstwirksamkeit);
sie sehen jetzigen und zukünftigen Erfolgen positiv entgegen (= Optimismus);
sie arbeiten sich beharrlich in Richtung ihrer Ziele vor und generieren, wenn nötig, neue Lösungswege (=Hoffnung);
sie halten Rückschläge aus, bleiben auch unter widrigen Rahmenbedingungen gesund und zufrieden und kommen wieder auf die Beine, um erfolgreich zu sein, auch wenn sie mit Misserfolgen konfrontiert werden (= Resilienz).

Mit Positive Leadership im Führungsalltag überzeugen
Utho Creusen, Professor für Wirtschaftswissenschaften, leitete aus der Positiven Psychologie ein Modell der Mitarbeitermotivation und -führung ab, genannt „Positive Leadership (PL)“. Vier zentrale Elemente spielen dabei eine wichtige Rolle, damit die Potenziale der Mitarbeiter auch bestmöglich genutzt werden können.
1. Engagement („Flow-Zustand“) fördern
Zufriedenheit und Engagement bei Mitarbeitern hängt mit geringeren Fehlzeiten, mehr Eigeninitiative, höherer Leistungsbereitschaft und Zuverlässigkeit zusammen. Es ist daher wichtig, Mitarbeiter in ihrem Engagement zu unterstützen, sodass sie idealerweise im Sinne eines Flow-Zustandes, vor lauter Begeisterung „die Zeit vergessen“. Wie fördern Sie das? Indem Sie Ihren Mitarbeitern Aufgaben geben, die zwar anspruchsvoll, gleichzeitig aber auch machbar sind. Sie dürfen weder über- noch unterfordern, sodass keine Angst oder Langeweile entsteht. Wenn Sie den Grad der Herausforderung nicht genau einschätzen können, bietet es sich laut Creusen an, folgende Fragen durchzugehen. Je mehr der Mitarbeiter bejaht, desto zufriedener ist er mit seiner Aufgabe.
Bei meiner momentanen Tätigkeit kann ich meine persönliche Leistungsfähigkeit voll entfalten.
Ich weiß, welche Ziele ich gerade verfolge.
Ich erhalte zeitnah Anregungen zu meinen Tätigkeiten.
Meine derzeitige Tätigkeit geht mir leicht von der Hand.
Ich tausche mich bei dieser Tätigkeit regelmäßig aus.
Bei dieser Tätigkeit bringe ich meine persönlichen Werte ein.
Fragen Sie einmal Ihre Mitarbeiter, welche Antworten Sie Ihnen auf die oben genannten Fragen geben. Wenn Sie viele „Neins“ erhalten, haben Sie sofort Ansatzpunkte, was Sie tun können, um die Wahrscheinlichkeit zu steigern, regelmäßig bei der Arbeit in einen Flow-Zustand zu kommen.
2. Die Mitarbeiter mitnehmen und beteiligen
Entlang der Dimensionen Sach- und Menschenorientierung teilt das GRID-Modell verschiedene Führungsstile im Arbeitsalltag ein. Begeisterte Mitarbeiter, die eine hohe Sachorientierung aufweisen, und sich deswegen auf ihre Leistung und das Erreichen von Zielen konzentrieren, sind nicht das Produkt von Zufall oder Glück. Wenn Sie es schaffen, Ziele zu gemeinsamen Zielen Ihrer Mannschaft zu machen und Entscheidungen zu vergemeinschaften, durch eine offene Diskussionskultur die Möglichkeit bieten, dass jeder Mitarbeiter seine Meinung frei äußern kann (die Frage: „Will noch einer was sagen?“ am Ende einer Teamrunde zählt NICHT dazu!) und bei Unstimmigkeiten versuchen, das Verständnis füreinander zu fördern („Was an der Position des anderen gefällt mir vielleicht nicht, ist aber für mich nachvollziehbar?“), dann beziehen Sie Mitarbeiter ein und beteiligen sie wirklich.
Eine gute und praktische Möglichkeit, um Gruppendiskussionen in die richtige Richtung zu lenken, sind die sechs Hüte des Denkens, die vom Hirn- und Kreativitätsforscher Edward de Bono erfunden wurden. Vielleicht haben Sie auch schon erlebt, dass Diskussionen schnell wuselig werden, alle Beteiligten nur noch gegeneinander ankämpfen und jedes Argument mit einem Gegenargument gekontert wird? Um die Mitarbeiter (und natürlich auch sich selbst, falls Sie sich gerade aus der Verantwortung ziehen wollten :-)) dazu zu bringen, andere Denkweisen an sich heranzulassen, können unterschiedliche Hüte „aufgesetzt“ werden, die für bestimmte Sichtweisen stehen. Somit wird jeder Beteiligte gezwungen, in ganz verschiedene Richtungen zu denken. Klingt lustig, denken Sie? Umso besser, vielleicht wird so aus einer langweiligen Nachmittagsbesprechung eine angenehme Diskussionsrunde.
Wenn Sie die Methode z.B. in einer Besprechung einsetzen wollen für die Lösung einer Sachfrage, dann suchen Sie sich etwas, das stellvertretend für die Hüte steht (zumindest wenn Sie glauben, dass sich die Kollegen weder den schwarzen Zylinder, die rote Bommelmütze oder die weiße Matrosenkappe aufsetzen). Das können im einfachsten Fall bunte Papiere sein. Jeder Mitarbeiter vertritt dann eine Perspektive („einen Hut“) – die können Sie nach dem Zufallsprinzip verteilen oder den Mitarbeitern eine Perspektive zuweisen. Für welche Perspektive stehen die Hüte nun genau?
Weißer Hut: Informationen, Daten, Fakten (objektiver Überblick)
Roter Hut: Gefühle und Intuition (Emotionen, Zweifel, Ängste)
Schwarzer Hut: Gefahren und Schwierigkeiten (Risiken, die gegen ein Projekt sprechen)
Gelber Hut: Positives Denken und Vorteile
Grüner Hut: Alternativen und Ideen
Blauer Hut: Kontrolle (Moderation, Zusammenfassung)
3. Visionen transparent machen
Würden Sie etwas tun, was für Sie von vornherein schon gar keinen Sinn ergibt? Vor allem als mittlere Führungskraft kommt man manchmal in Situationen, in denen man sich denkt: „Was haben sich die da oben eigentlich schon wieder dabei gedacht? Und jetzt muss ich das auch noch vertreten!“ Wenn es also Ihnen als Führungskraft schon manchmal so geht, wie fühlen sich dann wohl Ihre Mitarbeiter?
Sinnhaftigkeit ist ein Kriterium humaner Arbeit nach Ulich (2001). Wir Menschen brauchen und suchen den Sinn überall, im Privatleben und der Arbeit. Daher darf nicht vergessen werden, Ziele und Visionen des Unternehmens deutlich zu vermitteln, um Mitarbeitern die Chance zu geben, diese in Einklang mit ihren eigenen Wertvorstellungen zu bringen. Dazu gehört auch eine klare Aufgabenstellung, das gemeinsame Ziel und was es zu gewinnen und zu verlieren gibt, aufzuzeigen. Wissen Mitarbeiter, was sie tun und wofür sie es tun (sollen), ist das von großem Wert für das Unternehmen und steigert die Motivation. Im Kleinen gehört dazu auch: Begründen Sie Ihre Entscheidungen („welcher Sinn steckt dahinter?“).
4. Talente (er)kennen und entfalten
Talent-Management wird oft verstanden als: „Getting the right people with the right skills into the right jobs.“ Es geht jedoch um weit mehr als das ideale Schlüssel-Schloss-Prinzip. Sowohl die eigenen Talente als auch die Ihrer Mitarbeiter zu identifizieren, ist grundlegend für die Entwicklung Ihres Teams. Ein einfacher Weg um zu erkennen, ob die eigenen Stärken gerade genutzt werden oder nicht, ist der Flow-Zustand. Vergesse ich die Welt um mich herum und konzentriere mich mit voller Begeisterung auf meine Aufgabe, nutze ich gerade mein Potenzial. Eine weitere Möglichkeit ist es, Hintergrundinformationen zu erfragen: Wie genau ist der Mitarbeiter zum Ziel gekommen? Warum bevorzugt er bestimmte Strategien? Welche inneren Faktoren helfen ihm dabei, seine Arbeit besonders gut zu machen?
Zum Abschluss stellen Sie sich ein Kind vor, das zum ersten Mal versucht, seine Schnürsenkel zuzubinden. Konzentrieren Eltern sich nur darauf, wo die Schleife schon wieder nicht richtig gebunden ist und dass das die letzten Tage auch schon so schlecht war, wird das Kind schnell das Interesse am Schnürsenkelbinden verlieren. Macht man jedoch deutlich, wie gut die Schleife heute geworden ist und wie viel besser sie sogar noch werden kann, hat das einen ganz anderen Effekt. Was die Pädagogik also schon lange weiß, lässt sich auch im Arbeitsalltag beobachten. Auch in Unternehmen ist es viel effektiver, sich vor allem auf Stärken von Mitarbeitern, statt auf ihre Schwächen zu konzentrieren und sie somit optimal zu fördern.
Sie möchten das auch mal selbst ausprobieren, wissen aber nicht so richtig wie? Die Gallup Q12®−Fragen können Führungskräfte dabei unterstützen, konkrete Handlungen abzuleiten. Gehen Sie doch einmal durch die Aussagen und beurteilen Sie, wie sehr Sie die genannten Dinge umsetzen. Seien Sie dabei durchaus selbstkritisch oder holen Sie sich eine Fremdmeinung ein.
Ich sorge dafür, dass alle meine Mitarbeiter genau wissen und verstehen, was von ihnen erwartet wird.
Ich stelle meinen Mitarbeitern alle Arbeitsmaterialien zur Verfügung, die sie zur Erledigung ihrer Arbeit brauchen.
Ich gebe meinen Mitarbeitern jeden Tag die Gelegenheit, das zu tun, was sie am besten können.
Ich gebe meinen Mitarbeitern kontinuierlich Anerkennung/Lob für ihre Arbeit.
Ich interessiere mich für meine Mitarbeiter als Mensch.
Ich fördere die individuelle Entwicklung meiner Mitarbeiter
Ich nehme die Meinungen meiner Mitarbeiter ernst.
Ich zeige meinen Mitarbeitern ihren Beitrag zu den Zielen des Unternehmens auf.
Ich schaffe eine Arbeitsatmosphäre, in der alle Teams und die gesamte Belegschaft einen inneren Antrieb haben, Arbeit von hoher Qualität zu leisten.
Ich biete meinen Mitarbeitern die Möglichkeit, sich kennenzulernen.
Ich spreche regelmäßig mit meinen Mitarbeitern über ihre Fortschritte.
Ich biete meinen Mitarbeitern die Möglichkeit, Neues zu lernen und sich weiterzuentwickeln
Und, wie steht es um Ihre Positive Leadership Qualitäten?