Wer ein gesetztes Ziel erreichen möchte, braucht dreierlei:
eine ausreichend große Veränderungsmotivation, weil es nicht mehr bleiben kann, wie es ist
die klare Entscheidung für ein bestimmtes Ziel und das klare Bekenntnis, sich der Zielverfolgung zu widmen
den Willen und die notwendigen Selbstregulationsstrategien, um das Ziel auch bei auftretenden Hindernissen weiterzuverfolgen
Es ist leicht, einen Wunsch zu haben. Sich vorzustellen, was man erreichen möchte. Die Herausforderung besteht darin, ins Handeln zu kommen und dabei zu bleiben. Das Ziel konsequent zu verfolgen und die eigene Motivation aufrecht zu erhalten. Das ist die wahre Kunst. Ich zeige Ihnen anhand eines psychologischen Modells, wie Sie von einem Wunsch zu echten Zielen kommen und was es für deren Erreichung braucht.
Ein kleines bisschen praktische Theorie: Vom Wünschen, Wählen, Wollen und Tun
Das sogenannte Rubikmodell (Heckhausen, Gollwitzer) zerlegt das Verfolgen eines Ziels in Handlungsphasen und verbindet motivationale Prozesse (also das Setzen und Bewerten eines Ziels) mit volitionalen (also dem Willen zur Aufrechterhaltung und Realisierung eines Ziels).
Der Rubikon-Prozess beschreibt mehrere Phasen, die für die Erreichung eines gesetzten Ziels notwendig sind.
Schritt 1
In uns allen schlummert ständig eine Vielzahl von Wünschen, von denen man sich einen bestimmten Wert verspricht und von denen man glaubt, sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit umsetzen zu können. Einzelne Wünsche, Vorstellungen und Bedürfnisse sind so stark, dass sie mehr Aufmerksamkeit bekommen als andere („Irgendwie wäre es schon schön, wenn ich schlanker wäre“, „Ein Leben ohne Nikotin hätte schon was“, „Ich hätte gern mehr Selbstvertrauen“, „Ich würde gern häufiger Nein sagen“). Dann geht es in die erste Phase. In ihr geht es um das Abwägen der Wünsche und Vorstellungen und das Ausformulieren des Wunsches „Es wäre schön, wenn…“, die Bildung einer konkreten Intention.
Schritt 2
Dann erfolgt ein entscheidender Schritt: Die Überquerung des Rubikons. Dies ist die eindeutige Entscheidung für ein bestimmtes Ziel. Sozusagen von „ich möchte“ zu „ich will“. Die meisten Neujahrsvorsätze sind gute Wünsche, aber schaffen es nicht über diese Schwelle.
Der Name des Modells stammt übrigens von dem Fluss namens Rubikon, der im Jahr 49 vor Christus die natürliche Grenze zwischen Italien und der römischen Provinz Gallia Cisalpina darstellte. Julius Caesar stand in diesem Jahr vor dem Fluss und der Frage, ob er Rom nun angreifen sollte oder nicht. Er sprach die berühmten Worte „Alea iacta est“ (Die Würfel sind gefallen). Der Rest ist Geschichte. Die Überquerung des Rubikons ist eine wichtige Wegmarke, ist aber keine eigenständige Phase.
Schritt 3
In der sogenannten präaktionalen Phase folgt der Intentionsbildung das Selbstcommitment und die Planung, wie konkret man sein Ziel erreichen möchte (von „Ich will…“ zu „Ich werde …“). Dabei sollten die Kriterien zur Formulierung wirksamer Ziele unbedingt berücksichtigt werden! Es geht in dieser Phase auch darum, sich selbst in die Lage zu versetzen, zielorientiert zu handeln („Ich will und ich kann“). Beim Klassiker im neuen Jahr (abnehmen und joggen gehen) könnte das heißen, sich Sportschuhe zuzulegen, wenn man noch keine hat, sich eine Laufgruppe zu suchen, sich gesunde Rezepte rauszusuchen, einen Essensplan für die Woche aufzustellen usw.
Schritt 4
Dann geht es los. Die Handlung folgt (aktionale Phase). Ich nehme mir nicht mehr vor, morgen mit dem Sport anzufangen, mir ein Seminar rauszusuchen oder was auch immer, sondern ich mache es. Die Herausforderung in dieser Phase:
Ich muss das Ziel im Auge behalten, zielorientiert handeln und mich nicht ablenken lassen.
Ich muss auf Schwierigkeiten und Unerwartetes (Regen, der das Joggen gehen, unattraktiv erscheinen lässt; Essen mit Freunden in einer netten Kneipe, bei der die Zigarette doch dazugehört; ein Kollege oder ein Vorgesetzter, der einem eigentlich schon nach Feierabend mit Arbeit zupackt) flexibel reagieren und mit möglichen Misserfolgen („Einmal schwach geworden“) umgehen.
Schritt 5
Abschließend wird bewertet, ob man sein gestecktes Ziel erreicht hat oder nicht und es werden Erklärungen bzw. Ursachen für Erfolg oder Misserfolg gesucht.
Wie können Sie das Rubikonmodell und die einzelnen Phasen für sich nutzen?
In der Abwägephase
Prüfen Sie die Attraktivität der Zielvorstellung, indem Sie sich den erwünschten Zielzustand und all die damit verbundenen positiven Auswirkungen möglichst bildhaft ausmalen. Im Kontrast dazu stellen Sie sich Ihr persönlich wichtigstes Hindernis oder mit der Zielerreichung verbundene Herausforderungen bildhaft vor. Wir sprechen von Mentalisieren. Spüren Sie dann in sich hinein. Wie stark sind Ihre positiven Gefühle? Wie stark Ihre negativen? Ein Ziel kann dann in ein handlungswirksames übersetzt werden, wenn ein möglichst hoher Wert bei „positiven Gefühlen“ auftaucht (z.B. mindestens 70 bei einer gedachten Skala von 0 bis +100) und einen möglichst geringen Wert bei „negativen Gefühlen“ (auf einer gedachten Skala von 0 bis -100). Wer zwar schlank sein will (sehr hoher positiver Affekt), aber kein Gemüse mag und Süßigkeiten und Fastfood liebt (vermutlich deswegen auch hoher negativer Affekt), wird es schwer haben, zu einem handlungswirksamen Ziel zu kommen. Solange Sie nicht Verstand und Bauchgefühl übereinander bringen, brauchen Sie in die Zielverfolgung keine Energie investieren! Die besten Durchführungsvorsätze und Wenn-Dann-Pläne werden keine Wirkung entfalten, wenn das Ziel zwar für Ihren Verstand eine hohe Attraktivität besitzt, nicht aber für „Ihren Bauch“.
In der präaktionalen Phase
In dieser Phase wird die klare Intention zur Durchführung in ein konsequentes Durchführungsvorhaben umgesetzt. Formulieren Sie ein wirksames, handlungsleitendes Ziel. Achten Sie besonders auf Ihre Zuversicht in die Machbarkeit und schaffen Sie Klarheit über konkrete nächste Schritte. Durch die Verschriftlichung Ihres Ziels oder die Bekanntgabe an Dritte erhöhen Sie die Selbstverpflichtung.
Überprüfen Sie insbesondere Ihre Zuversicht in die Machbarkeit bzw. was Ihnen zur Realisierung noch fehlt: Was gibt Ihnen die Zuversicht, dass es machbar ist? Was noch? Was noch? Welche Kompetenzen und Werte könnten Sie für die Umsetzung Ihres Ziels nutzen? Welche Teilziele können Sie mit Ihren Kompetenzen auf jeden Fall realisieren? Welche Bedingungen müssen gegeben sein, damit Sie anfangen? …
Schaffen Sie sich Klarheit über konkrete nächste Schritte: Woran merken Sie und andere Fortschritte? Was ist als erstes zu tun, was folgt danach? Definieren Sie Termine, an denen Sie den Zielfortschritt bewerten!
Setzen Sie sich Ziele, für die Sie die Kompetenzen zur Umsetzung schon weitestgehend in Ihrem Rucksack haben und denken Sie in kürzeren Zeitabständen. Studien zeigen, dass diejenigen Personen eher ihre Ziele erreichen, die sich zeitlich näherliegende Ziele setzen.
In der aktionalen Phase
Hindernisse auf dem Weg zur Wunsch- und Zielverwirklichung sind wahrscheinlich. Damit Sie trotzdem in wirkungsvolles Handeln kommen und vor allem darin bleiben, überlegen Sie sich im Vorfeld, was Sie tun, wenn Hindernisse auftauchen. Nehmen Sie Ihre Reaktion auf kritische Situationen (Rückschläge, Hindernisse) gedanklich vorweg. Zahlreiche Studien zeigen, dass dies die Erfolgswahrscheinlichkeit bei der Zielerreichung um ein Vielfaches steigert. Entwickeln Sie „Wenn-Dann-Pläne“!
Wenn es so stark regnet, dass ich deswegen nicht joggen gehen kann, dann laufe ich 20 Minuten die Treppen im Treppenhaus auf und ab.
Wenn ich einmal dem Süßen/ der Pizza nicht widerstehen konnte, dann esse ich am nächsten Tag Salat und mache 10 Kniebeugen.
Wenn ich drei Mal Süßem und Pizza nicht widerstehen konnte, dann rufe ich eine Freundin an und hole mir aufmunternde Worte oder Beschimpfungen bei ihr ab – wahlweise, was besser bei Ihnen wirkt :-).
Diese Wenn-Dann-Logik können Sie natürlich auch schon in der präaktionalen Phase benutzen (z.B. Wenn ich auswärts essen gehe, dann bestelle ich mein Lieblings-Gemüsegericht.).
Fokussieren Sie Ihre Aufmerksamkeit ganz bewusst. Stellen Sie ein Bild als Bildschirmschoner ein, kleben Sie es auf das Innere des Klodeckels oder auf den Spiegel. Auf Orte, die Sie immer wieder auf Ihr Ziel fokussieren. Schirmen Sie sich gegenüber Einflüssen ab, die es Ihnen unnötig schwer machen. Nutzen Sie beispielsweise im Supermarkt die Kasse, an der keine „Kinderfänger“ aufgebaut sind („Hindernissen vorbeugen“). Oder schreiben Sie täglich in ein kleines Tagebuch, was Sie heute dafür getan haben, um das Ziel zu erreichen.
In der postaktionalen Phase
Wenn Sie erfolgreich waren, finden Sie möglichst viele gute Gründe, warum Sie es geschafft haben, die nichts mit „purem Glück“ zu tun haben, sondern mit Ihnen, Ihrem Durchhaltewillen, Ihrer Einzigartigkeit. Seien Sie stolz! Belohnen Sie sich, wenn Sie einen wichtigen Meilenstein erreicht haben. Wenn es eine Diskrepanz gibt, prüfen Sie noch einmal entlang der Phasen, wo die Ursache dafür liegen könnte.
Betreiben Sie Self-Monitoring: Wenn Sie merken, Sie kommen Ihrem Ziel kein Stück näher, gehen Sie noch einmal an den Anfangspunkt zurück und fragen Sie sich, wie attraktiv das Ziel mit all dem, was sich daraus ergibt, für sie wirklich ist. Stimmen Verstand und Bauch überein? Fällt die Affektbilanz so aus, dass sich Anfangen überhaupt lohnt?
Wir alle haben Ziele – kleinere und größere. Sie helfen uns, uns bewusst zu entwickeln und lenken den Fokus unserer Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte. Nicht immer erreichen wir jedoch das, was wir uns vornehmen. Die Beiträge der Serie “Alle Jahre wieder. Ziele setzen und tatsächlich auch erreichen” sollen Ihnen helfen, wirkungsvolle Ziele zu formulieren und liefern Ihnen Anstöße, psychologisches Know-how und Tipps, wie Sie Ihre Ziele auch in die Tat umsetzen. Das schafft Erfolgserlebnisse und stärkt das Selbstwirksamkeitserleben (“ich kann das hinbekommen, was ich mir vornehme”).