Sonntagabend, Schlafenszeit. Ich liege im Bett und bin totmüde. Eigentlich wollte ich heute noch ein paar Dinge erledigen, die in das volle Wochenende dann doch irgendwie so gar nicht mehr reingepasst haben- ein Jammer, denn jetzt startet der Montagmorgen wie so oft schon mit angestauten To-Do’s. Außerdem ist der Kühlschrank leer. Und die Waschmaschine voll. Der Terminkalender sowieso. Und ich hab’ auch schon wieder ein schlechtes Gewissen weil ich Anne nicht zurückgerufen habe. Ob es wohl diesen Monat noch mit dem Familienbesuch klappt?
Montagmorgen. Ich bin gerädert. Kein Wunder- Schlafen ist super, aber Einschlafen eine Quälerei. Es hilft nichts, ich muss raus aus dem Bett und rein in die neue Woche. Also Aufstehen, Frühstücken, Duschen, los. Im Büro: Hektik. Irgendeine Laus scheint meinem Chef das Wochenende vermiest zu haben. Na Glückwunsch, das geht ja schon wieder gut los. Der Morgen rast nur so und die Mittagspause naht. Entspannung? Fehlanzeige. Ein Geschäftsessen steht an. Sitzen, Lächeln, Networken. Das war’s mit der Pause.
Montagabend. Als ich abends erschöpft nach Hause komme, will ich nur noch die Beine hochlegen. Gut, dass ich einen Hund habe, der mich gnadenlos zu Frischluft zwingt. Unsere Standardrunde dauert eine Stunde. Heute sind wir schneller, irgendetwas treibt mich an. Jetzt aber: Sofa. Kaum sitze ich mit einer Stulle auf dem Schoß vor dem Fernseher, dudelt das Telefon. Anne. Sie will essen gehen, man habe sich ja ewig nicht gesehen und anrufen würde ich erst recht nicht mehr. Mist. Absagen ausgeschlossen. Die Stulle wandert unberührt in den Kühlschrank, ich trauere kurz dem gemütlichen Abend nach und verlasse unwillig meine Jogginghose. Was soll’s, man will ja nicht sozial vereinsamen.
Anne ist- wie immer- energiegeladen. „Das blühende Leben“, mit einer sehr „gesunden Gesichtsfarbe“, würde meine Oma sagen. Wir kennen uns schon lange, aber ich kann mich tatsächlich nicht an diese Dauerpower gewöhnen. Manchmal erwische ich mich sogar noch dabei, sie heimlich nach Batteriefächern abzusuchen.
Trotzdem, als die erste Weinschorle bereit steht und Anne munter vor sich hin plappert, bin ich froh, mein Sofa doch noch verlassen zu haben. So ein bisschen gut tut Quatschen ja immer. Außerdem darf ich dann irgendwann natürlich auch ein bisschen jammern. Und jammern ist ja auch immer besser, wenn nicht nur mein stummer Hund zuhört. Anne lauscht auch wirklich eine Weile schweigend, kann sich irgendwann aber nicht mehr beherrschen. „So geht das nicht weiter mit dir, du stresst dich ja nur noch. Letztens war ich mit Monika bei einem Vortrag zum Thema Achtsamkeit- ich sag’s dir, wenn du schon nicht mit zum Yoga willst, wenigstens dafür kannst du dir mal Zeit nehmen! Das hilft wirklich!“. Achtsamkeit, denke ich. Das kann ja nur wieder so ein Hokuspokus sein. Anne geht scheinbar wirklich zu häufig zum Yoga. Sie versucht auch schon seit Monaten mich zum Mitkommen zu motivieren. Keine Chance, so ein Meditationskram ist mir suspekt. Und überhaupt, scheinbar atmet man da ja auch wie ein Rudel wildgewordener Hirsche gemeinsam. Nee, also beim besten Willen nicht. Ich bestelle lieber noch eine Weinschorle. Anne ist jetzt leider – einmal bei ihrem Lieblingsthema angekommen- kaum zu bremsen. Während sie minutenlang die essenziellen Erkenntnisse dieses Vortrags wiedergibt, überlege ich, ob sie eines Tages wohl nach Indien in irgendein buddhistisches Zentrum verschwindet. Wundern würd’s mich nicht. Dann kommt Gott sei Dank unser Essen und sorgt für ein paar Minuten Stille. Ich reiße prompt das Gespräch an mich und lenke Annes Aufmerksamkeit auf den neusten Klatsch. Kurzfristig zumindest.
Am Ende des Abends ist es wie so oft: Anne hat es irgendwie wieder geschafft, mich aufzupäppeln. Nachdem sie mir den Vortrag noch mehrfach detailreich geschildert hat, bin ich jetzt sogar ein bisschen neugierig. Deshalb- und natürlich nur deshalb und keinesfalls weil ich an diese Achtsamkeit glaube- lasse ich mich auch darauf ein, ein Selbstexperiment zu starten. Achtsam leben für einen Monat. Anne erläutert Tipps, Tricks und Übungen und sieht sich dann quasi als Richter über meinen Gemütszustand zum Schluss. Ich bin skeptisch, klar, aber zugegebenermaßen auch ein bisschen gespannt.
Auch wenn die Protagonisten dieser kurzen Geschichte fiktiv sind – das Thema ist es nicht. Immer häufiger begegnen mir in meinem Beratungsalltag Menschen, die sich wahnsinnig gestresst fühlen und bisher erfolglos nach einem Weg gesucht haben, besser und gesünder mit dem täglichen Wahnsinn umzugehen. Achtsamkeit ist kein Hokuspokus, sondern kann auch für diejenigen sehr hilfreich sei, die nicht erst nach Indien reisen wollen, um Meditationsbasics zu erlernen.
Falls Sie mit dem Konzept noch nicht vertraut sind, können Sie HIER mehr darüber erfahren.
Neugierig geworden? Dann lesen Sie bald im zweiten Teil wie das Selbstexperiment vonstatten geht, entdecken Sie dabei praktische Übungen für Ihren eigenen Alltag und lassen Sie sich von deren Wirksamkeit vielleicht sogar selbst überzeugen.